Pedro Pascal als Joel und Bella Ramsey als Ellie in der HBO-Serie «The Last of Us».Bild: HBO/ Warner
Review
«The Last of Us» als TV-Serie? Höllisch gut
Die TV-Serie zum Kultgame startet am 16. Januar auf Sky. Und sie zerstört das Vorurteil, dass Serienadaptationen von Videogames allesamt ungeniessbar sind.
Mehr «Leben»
Der Genuss von Videospielen und TV-Serien unterscheidet sich fundamental. Videospielerinnen bedienen einen Controller. Sie steuern. Damit sind sie selbst für den Inhalt verantwortlich. Entsprechend lehnen sich Videospieler aktiv im Sofa nach vorn (Englisch: «lean forward»). Serienkonsumentinnen hingegen lehnen sich im Sofa passiv zurück («lean back»). Sie harren der Dinge, die da kommen, ohne eigenes Zutun.
So unterschiedlich die beiden Modi sind, so unterschiedlich sind auch die Erfolgsfaktoren. Tetris ist das meistgespielte Videospiel. Eine Serie über Klötze, die möglichst lückenlos gestapelt werden, wäre aber wahrlich kein Strassenfeger.
Das Beispiel ist überzeichnet, aber es illustriert die Schwierigkeit, aus einem guten Videospiel eine gute TV-Serie abzuleiten. So viele haben es bereits versucht, so viele sind damit gescheitert. Denn was «lean forward» stundenlang funktioniert, ödet «lean back» in wenigen Minuten an. Erschwerend kommt hinzu, dass Game-Adaptationen sowohl Spiele-Fans als auch Nicht-Videospielerinnen zufriedenstellen müssen – eine Problematik, die sich auch mir als Reviewer der TV-Serie «The Last of Us» stellt. Bespreche ich TLOU für diejenigen, die das Game kennen – oder für alle anderen?
Ich habe mich für die feige Variante entschieden – und schreibe einfach zwei Reviews. Was für beide Reviews gilt: Spoiler wird es keine geben.
Inhaltsverzeichnis
TLOU für alle, die das Game (noch) NICHT kennenTLOU für alle, die das Game kennen
TLOU für alle, die das Game (noch) NICHT kennen
Noch ahnen Ellie und Tess nicht, dass ihre Reise länger dauern könnte.Bild: HBO/ Warner
Die Welt ist nicht mehr dieselbe. Ein Pilz (Ophiocordyceps unilateralis) hat einen Grossteil der Menschheit in Kannibalen verwandelt. Die marodierenden Horden stürzen die Welt in Chaos und Anarchie. Mit brutalen Mitteln versucht das US-Militär zwar kein Recht, aber wenigstens wieder Ordnung herzustellen. Leidtragende ist die Zivilbevölkerung, die immer wieder rebelliert. Inmitten dieser Unruhen erhalten die beiden Überlebenskünstler Joel und Tess den Auftrag, die 14-jährige Ellie aus einer Quarantänezone in Boston zu schmuggeln. Was als kurze Reise geplant war, entpuppt sich als Odyssee quer durch die USA. Und hinter jedem Autowrack, hinter jedem verlassenen Haus lauern Gefahren. Denn nicht nur die drei Reisenden wollen (fast) um jeden Preis überleben.
Soweit das Setting von «The Last of Us». Es unterscheidet sich nicht wirklich von anderen Endzeit-Dramen. Fans des Genres dürfen schon einmal die Popcornmaschine vorheizen. Denn natürlich ist die Produktion von HBO wunderschön. Vielleicht haben die kaputten USA nie schöner ausgesehen. Natürlich ist die Besetzung allererste Sahne. Wer Pedro Pascal (Joel) und vor allem Bella Ramsey (Ellie) nicht liebt, hat kein Herz. Natürlich kommt wieder dieses genretypische und fast unerklärliche Gefühl auf zwischen «absolute Hölle» und «ich will trotzdem unbedingt da hin».
Aber da ist eben noch mehr.
Hat es faustdick hinter den Ohren: Ellie.Bild: HBO/ Warner
Der zweite Teil der Videospielreihe von «The Last of Us» löste unter gewissen Fans eine Welle der Entrüstung aus. Ohne zu spoilern, kann gesagt werden: Ein (bei Weitem nicht der einzige) Stein des Anstosses war, dass Produzent Neil Druckmann das klassische «Gut vs. Böse»-Schema infrage und die Dualität von Konflikten ins Zentrum des Games stellte. Kritiker feierten ihn für diesen Schritt. So radikal hatte das noch nie jemand in der Gamebranche gewagt.
Druckmann ist zusammen mit Craig Mazin («Chernobyl») auch für die Produktion der TV-Serie von «The Last of Us» verantwortlich. Und er zieht das Muster weiter. Joel, Tess und auch Ellie, die Guten also, zeigen immer wieder mal Charakterschwächen. Besonders eindrücklich wird das bei der 14-jährigen Ellie, die sadistische Züge und eine Neigung zur Gewalt offenbart. Normalerweise schiebt Hollywood in solchen Fällen einen Reueschwur und eine tränenreiche Angelobung zur Besserung nach. Nicht so in «The Last of Us». Hier werden Makel nicht weggeschminkt. Schon gar nicht Ellies Pickel. Übrigens: Fans von Arya Stark in «Game of Thrones» werden auch Ellie in «The Last of Us» lieben.
Pedro Pascal: die perfekte Besetzung für Joel.Bild: HBO/ Warner
Druckmanns Hang zur Nivellierung zeigt sich auch bei der Darstellung der «Bösen». Sie haben immer wieder menschliche Züge – und fast noch schlimmer: durchaus verständliche Motive. Mit bösen Guten und lieben Bösen verfliesst die Grenze zwischen Recht und Unrecht. «The Last of Us» ist die Antithese zu den bipolaren Narrativen der Superheldenfilme. Es ist ein aufwühlender Diskurs, welche Mittel beim Versuch zu überleben legitim sind. Und wofür es sich in einer solch finsteren Welt überhaupt zu kämpfen lohnt.
Natürlich entgehen Nicht-Gamerinnen einige liebevolle Referenzen an das Spiel. Wer beabsichtigte, die Spiele sowieso noch zu zocken, soll dies unbedingt vor dem Serienvergnügen tun. Doch weil die Serie das Kerngeschäft des Games – Schleichen, Suchen, Morden – grosszügig aus dem Konzept gestrichen hat, funktioniert «The Last of Us» auch als Standalone höllisch gut.
TLOU für alle, die das Game kennen
Kennt man als Gamer nur zu gut: Die Rückenansicht von Ellie und Joel. Bild: HBO/ Warner
Der etwas zähe Einstieg in diesen Review hat seinen Grund. Stundenlanges Kriechen und Verstecken, stundenlanges Geballer und Gemetzel, stundenlanges Suchen nach etwas Munition – die Kernaufgaben des Videospiels – funktionieren im Lean-back-Modus nicht. Es ist schlicht und einfach uninteressant.
Gottlob sehen das auch Neil Druckman, der neben der Game- auch die Serienproduktion verantwortet, und sein Co-Produzent Craig Mazin so. Sie haben für die Serie bei den Kampf- und Schleichszenen den dicken Rotstift angesetzt: Wo Joel und Ellie im Spiel auf Horden von Infizierten oder auf feindselige Jäger trafen, haben die beiden in der Serie oftmals freie Bahn. Das heisst nicht, dass die Reise zu einem Spaziergang wird. Zu Treffen mit Unholden kommt es aber nur gezielt. Die Reisedauer wird dadurch verkürzt – was Platz für Neues schafft. Und dieses Neue ist wirklich sehenswert.
Im Game hätte es in diesem Spind dort hinten ... vermutlich wieder einmal keine Munition.Bild: HBO/ Warner/ Liane Hentscher
Die verschiedenen Charaktere werden wesentlich behutsamer eingeführt. Das gilt vor allem für Bill, dem eine ganze Folge (von neun in der ersten Staffel) gewidmet ist, aber auch für Henry und Sam und sogar für David. Typisch Druckmann zeichnet er vielschichtige, komplexe Personen, die weder das absolute Böse, noch Engel sind. Der Stil von «Part II», die Dualität von Konflikten zu zeigen, wird in der Serie bereits im ersten Teil sehr deutlich. Auch Joel wird nicht davon verschont.
Aber ist das alles denn überhaupt interessant, wenn man bereits dutzende Stunden in die Games investiert hat?
Ja, wirklich, ja.
Passt wie die Faust aufs Auge: Nick Offerman spielt Bill.Bild: keystone
Die TV-Serie ist für Kenner des Games eine perfekte Mischung aus Altem und Neuem. Das Alte, das ist vor allem das Set. Rein optisch lehnt sich die Serie fast schon akribisch an die Spiele an und mancherorts glaubt man sogar, dieselben Formationen von Autowracks zu erkennen. Die Musik ist (zum Glück) genau dieselbe, die Scherze, die Storyline – hinzu kommen kleine liebevolle Referenzen, von denen ich hier aber keine nennen will. Ich will euch das wohlige «Hihihi, das ist ja genau wie im Game» nicht vermiesen.
Das Alte, das sind aber auch Inhalte, die man aus dem Spiel kennt, die im Rahmen einer Serie aber drastisch an Dramatik gewinnen. Ein Serienableben ist zum Beispiel noch einmal ein ganz anderer Tobak als ein Gametod.
Das Neue, das sind zahlreiche Rückblicke, Nebenschauplätze und Erklärungen. Sie nehmen einen prominenten Platz in der Serie ein und weichen in einigen Fällen sogar von der Game-Storyline ab. Natürlich. Man muss man die Geschichte von Bill (Nick Offerman) und Frank (Murray Bartlett) in einer Serie anders erzählen (übrigens beste Folge der Staffel).
Das Neue, das sind aber auch gestopfte Informationslücken. Zum Beispiel wie die Pandemie ihren Anfang nahm oder wie es zu Ellies Alleinstellungsmerkmal kam.
Das Neue, das sind aber nie Fremdkörper. Das Finetuning stimmt absolut und Serie und Game wirken wie aus einem Guss. Dass Neil Druckmann auch bei der TV-Produktion federführend war, dürfte dafür ausschlaggebend gewesen sein.
Gibt es denn gar nichts zu mäkeln?
Spielt Joels Tochter Sarah: Nico Parker. Bild: keystone
Konservativen Fans (gibt es die überhaupt noch?) werden einige Neuerungen sauer aufstossen. Die grossmehrheitlich weisse Belegschaft des (ersten) Games, ist einer farbenfroheren Gesellschaft gewichen. Warum das im Jahre 2023 noch jemanden erzürnt, bleibt zwar ein Rätsel: Aber es wird. Wieso wird das hier denn als Makel deklariert? Weil ich befürchte, dass eine erneute Woke-Diskussion losgetreten wird, statt dass wir einfach nur abfeiern, wie unglaublich gut Bella Ramsey und Pedro Pascal sind. «The Last of Us» ist für Fans der Games einfach nur ein Muss.
«The Last of Us» ist bei uns ab dem 16. Januar auf Sky zu sehen. Immer montags steht eine neue Folge zur Verfügung.
Eine kleine Bitte für die Kommentarspalte: Bitte haltet auch diese spoilerfrei! Kommentare in die Richtung werden nicht freigeschaltet!
Mehr zu Serien:
- Wahnsinnig eigensinnig: Das sind die 5 umwerfendsten Filme dieser Award-Saison
- 10 Serien-Highlights, die du 2023 streamen kannst
- Gelöschte Szenen, die dich 11 Filme in neuem Licht sehen lassen
- Serienwunder: Beim «Tschugger»-Dreh gab's wahre Liebe, was sonst?
Sisi in der Schweiz: Sie wanderte, hungerte, starb und hinterliess peinliche Lyrik
Wie oft war Sisi in der Schweiz? Sehr oft! Sie vermehrte ihr Geld in Genf, kaufte Kunst im Tessin, ging bei Sprüngli in Zürich ein und aus und machte verrückte Diäten. Und dann wurde sie ermordet. Ein neues Buch folgt ihren vielen, bis jetzt unbekannten Wegen durch unser Land.
Plötzlich ist die Schweiz der schwärzeste Punkt auf der Weltkarte. Das unsicherste Land mit der laschesten Polizei, ein Staat voller «Ungeheuer» und «Mordbrutstätten», wie die internationalen Medien schreiben. Es ist im September 1898. In Genf hat der italienische Anarchist Luigi Lucheni die Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn erstochen. Am 10. September um 13.35 Uhr, so berichtet ihre Hofdame, Gräfin Sztáray, der Polizei, hat er ihr auf dem kurzen Weg vom Hotel Beau Rivage zur Schiffsanlegestelle eine Feile in die Brust gerammt.
Zur Story